Allgemein

Zeit für Revolution

Gerade habe ich einen Artikel über Menschen mit Behinderung gelesen. Er stand in der großen Tageszeitung mit den 4 Buchstaben, Sonntagsausgabe. Ich weiß, dass sie nicht unbedingt einen seriösen Ruf hat, dafür aber eine sehr große Auflage.

Unter dem Deckmantel, einen wohlmeinenden Artikel zu veröffentlichen tauchen solche Sätze auf:
„Menschen mit Down Syndrom sind wie Kinder im Vorschulalter“
„…die unter dem Down Syndrom leidet…“
„…so ein Mensch ist eine Belastung für die Gesellschaft“
Und noch einige mehr. Die erspare ich uns jetzt aber.

Das sind keine Zitate, da ich den Artikel nicht nochmal lesen werde. Nein. Ich ärgere mich so schon genug darüber.
Ich verstehe auch nicht, wie man eine Trisomie 13, 18 und 21 gleichsetzen kann. Das sind zum Himmel schreiende Unterschiede! Wer mag kann es hier nachlesen: Trisomie 13, Trisomie 18.

Ich empfinde es als eine Unverschämtheit, Menschen einer Gruppe mit solchen Vorurteilen wie „…sind wie Kinder im Vorschulalter“ zu brandmarken.
Man überlege mal, wie sich z. B. Sebastian Urbanski fühlen mag, der gerade im Deutschen Bundestag anlässlich des Tages des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus gesprochen hat, wenn er das liest. Ein gestandener Mann mit einer ernst zu nehmenden Karriere. Wer hat das Recht, ihn so zu degradieren? Niemand!

Auch das unter dem Down Syndrom gelitten wird hab ich noch nie gesehen. Es wird u. U. unter den Begleiterscheinungen (z. B. Herzfehler) gelitten. Menschen mit Down Syndrom leiden höchstens unter einer Gesellschaft mit vielen Vorbehalten, da solche Dinge ungerechtfertigt erzählt und verbreitet werden.

Da kommen wir auch zu der Frage, ob  „solche Menschen“ der Gesellschaft zuzumuten sind. Was soll diese Frage? Wieso ist jemand, der friedlich, glücklich, neugierig, gelassen, hilfsbereit… ist, eine Belastung für irgend wen?
Warum ist es nicht möglich, Menschen einfach nach dem zu beurteilen, was und wie sie wirklich sind? Vielleicht wird die Kröte kein höheres geistiges Niveau als Vorschule erreichen. Wer weiß das schon? Ich glaube es aber nicht. Ich glaube überhaupt nicht, dass es später große Unterschiede geben wird. Warum sollte ich auch an ihm Zweifeln? Er zeigt mit jeden Tag, was er alles kann. Er ist fleißig und neugierig. Ich bin seine Mutter und ich glaube an ihn und bestärke ihn wo ich kann. Sollte er etwas nicht können, werden wir nach Lösungen suchen und welche finden. Er wird wohl länger brauchen, er wird wohl härter an vielem arbeiten müssen, aber er wird es können.
Niemand steckt meine Kinder in Schubladen.

Für mich ist das Down Syndrom eine Entwicklungsverzögerung. Nicht mehr und nicht weniger. Es gibt in der kindlichen Entwicklung  riesige Unterschiede. Ich kenne Kinder, die mit 3 noch nicht sprechen, die mit 2 Jahren noch nicht laufen konnten, die Sprachfehler haben. Keiner weiß warum. Sie werden gefördert und man freut sich, wenn sie es irgendwann können.
Warum ist mein Kind benachteiligt, nur weil wir eine Diagnose haben? Weil wir wissen, dass diese (vermutlichen) Verzögerungen ihre Ursache in einem überzähligen Chromosom haben?
Ich finde es schreiend ungerecht. Ich werde nicht zulassen, dass die Kröte wegen einer Laune der Natur, eines Zufalls während der Meiose, abgestempelt und benachteiligt wird. Das hat er nicht verdient. Keiner hat sowas verdient.

Ich kann allen Interessierten und in irgendeiner Form Betroffenen das Buch „Trisomie 21; was wir von Menschen mit Down Syndrom lernen können“ empfehlen. Geschrieben wurde es von Prof. Dr. habil André Frank Zimpel, Professor an der Universität Hamburg mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

Wie klug jemand ist, hat mit vielen verschiedenen Punkten zu tun. Wenn die sich ändern, ändert sich auch die Klugheit. Und: Man kann die Klugheit immer nur für den Moment messen, nicht für die Zukunft. Es ist wie beim Wetter: Je weiter man in die Zukunft schauen will, desto ungenauer wird die Vorhersage.
André Zimpel nennt das deshalb Momentan-Intelligenz.

Dr. Zimpel bemerkt auch, dass das Down Syndrom („Menschen die unter den Bedingungen des Down Syndroms leben“) zwar schon seit 1866 bekannt ist, aber erst seit ca. 20 Jahren erforscht wird. Menschen mit Down Syndrom wurden und werden weiterhin unterschätzt.  Und Artikel wie der obige tragen dazu bei.

Ich lerne viel als Mutter eines Kindes mit Trisomie 21. Ich weiß jetzt, dass ein Kind mit Down Syndrom nichts für Feiglinge ist. Und ein Kind mit Down Syndrom sensibilisiert das eigene „Arschlochradar“ extrem.

Danke, dass ich mich bei euch therapieren darf. Ihr seid toll!

2017-02-07-09-13-42

3 Gedanken zu „Zeit für Revolution“

  1. Mit der Zeit wird man aber auch gelassener bei vielem. Ich unterscheide zwischen gut gemeint, aber nicht gemacht und wirklich boshaftem Verhalten. Natürlich gibt es viele Arschlöcher und noch viel mehr, die es einfach nicht besser wissen. Die ersten kann man vergessen, die zweiten da kann man ansetzen und ihnen zeigen was die Wahrheit ist.
    Und zur Bild 😀
    Die wollten ein großes Interview mit uns wegen Geschwisterkind usw – mein Mann hat die zusammenarbeit mit diesem Blatt abgelehnt, obwohl es uns sicher viel für den Bekanntheitsgrad und die Arbeit mit dem Down Syndrom gebracht hätte, aber man gat ja doch immer noch so ein bisschen seinen Stolz.
    Ein Artikel in der Bild fühlt sich an wie als XY-Promi ins Dschungelcamp gehen 😉

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar